Hoppla, da fehlt ja noch was… Genau, unsere letzte Etappe! Wie konnte das passieren? Tja, wir sind seit Mitte September wieder zuhause, aber ab dann ist alles wirklich sehr schnell gegangen. Wohnung suchen, der Arbeitsbeginn für uns beide, bürokratische Dinge usw. Manchmal fühlt es sich an wie ein Traum – haben wir das wirklich alles erlebt? Aber jetzt nochmal zurück in den Sommer, und zurück zu unserer letzten Etappe von Italien nachhause.
Die Fähre von Griechenland nach Italien legte mitten in der Nacht in der Nähe von Venedig an. Wir gingen müde an Land und schlugen unser Zelt nahe einer Nebenstraße auf. Am frühen Morgen starteten wir dann unseren Sightseeing-Tag in dem wirklich verträumt-schönen Städtchen Venedig. Eigentlich wollten wir nur einen kurzen Besuch abstatten, doch dann (nach einigen viel zu teuren Kaffees und Pizzastücken – ja, der Preisschock in Europa hatte uns noch nicht losgelassen) wurde es doch 16 Uhr, als wir wieder ans Festland gingen und weiterfuhren. Am Folgetag wollten wir schon in Arco am Gardasee sein, da würden wir Dominiks Geschwister treffen. Bis dort hin würden es aber über 200 km sein, daher wollten wir die letzten Abendstunden nutzen, um nochmal „g’scheit“ Meter zu machen. Was soll man sagen, falsch gedacht… Die Pizza dürfte Berni nicht so wohl bekommen haben, jedenfalls wurde nichts aus geschwind Meter machen, denn wir mussten eine lange Pause im Gebüsch einlegen… Man ist also auch in Europa nicht vor lästigen Magen-Darm-Geschichten gefeit. 😀
Der Folgetag sollte der Längste unserer Reise werden. Bis Arco mussten wir noch 180 km zurücklegen. Daher radelten wir früh los. Leider hatte uns zu dieser Zeit der Sommer schon weitestgehend verlassen. Waren wir in Griechenland ununterbrochen am Schwitzen, begrüßte uns der Norden Italiens mit Regen und grauem Himmel. Wir fetzten also durch – 60 km am Stück, kurze Frühstückspause, 60 km, kurze Pause, 60 km und voila, wir waren in Arco! Aber ganz so einfach ging es dann auch nicht… Gerade auf der letzten Etappe unserer Reise platzte Bernis Hinterreifen… Der erste platte Reifen auf der gesamten Reise! (Domi hatte bereits 15 Platte, Berni bis dahin keinen einzigen!). Um das zu vertuschen pumpten wir den Reifen einfach wieder auf und fuhren weiter, vielleicht würde es schon gehen? Aber leider nein, nach wenigen Metern mussten wir uns eingestehen, dass wir doch den platten Reifen flicken mussten. 😉
In Arco angekommen gönnten wir uns als erstes gleich mal ein Eis. Dann gab es noch Besuch von Bernis Hebammenkollegin Hannah aus Tirol, wo wir am Campingplatz auf ein Bier eingeladen wurden (das uns gleich in den Kopf stieg, da wir ja das gesamte Jahr kaum Aklohol getrunken hatten). Und dann endlich – trafen wir Georg, Markus und Nicole! Es war für uns wie ein erstes Heimkommen. Am Weg zum Treffpunkt waren wir so nervös und aufgeregt wie schon lange nicht mehr. Wir verbrachten eine abenteuerliche Woche gemeinsam mit Ausflügen, Klettern und unserem Highlight: dem Aquapark mit steilen Rutschen (Einlaufgefahr inklusive…) 😀
Nach diesem Besuch war es für uns besonder schwer weiterzufahren, da jetzt doch das Heimweh immer stärker zu spüren war. Und außerdem konnten wir uns von Arco nicht so recht trennen. Wir waren gerade zu der Zeit in Arco, als die Youth World Champion Ship im Klettern stattfand. Leider waren alle Unterkünfte (die wir uns leisten hätten können) ausgebucht, also fuhren wir jeden Abend etwas vom Ortskern hinaus und schliefen bei einer einsamen Kapelle im Wald. Dank einem Felsvorsprung waren wir auch vorm Regen geschützt. Die Temperaturen erlaubten es uns ohne Zelt zu schlafen, so konnten wir jeden Abend die Sterne beobachten oder Kletterern zusehen, die nachts noch mit Scheinwerfer ihre Wege durch die Routen in der Wand suchten. Jeden Morgen fuhren wir dann wieder in die Innenstadt, um der Weltspitze der jungen Kletterer zuzusehen (viele Kletterer aus dem asiatischen Raum waren besonders stark, daher können wir die Japanische Hymne nun auch auswendig 😀 ).
Nach etlichen Tagen mussten wir dann doch weiterziehen. Wir radelten Richtung Brixen, Sterzing und dann hoch hinauf auf den Brenner. Südtirol war eine einzige Augenweide – es schien, als gäbe es hier einen unausgesprochenen Machtkampf, wer die prunkvollsten Balkonblumen züchten könne.Generell war unsere Zeit auf den letzten Kilometer in Südtirol besonders schön: es gab Trinkwasser entlang der wirklich tip top ausgebauten Radwege, Radfahrerraststätten und alle Leute redeten mit diesem unglaublich herzigen Dialekt. Selbst wenn Mütter ihre Kinder schimpften hatte man das Gefühl, man möchte diese Leute gern umarmen weil sie so entzückend sprachen (so beispielsweise in einer von uns mitverfolgten Szene in einem Kaufhaus. Die Mutter zum Kind: „Iaz wiasch ja wohl amol folgen du kloana Lausabengl“). 😀 Es war auch recht amüsant, wenn wir andere Radfahrer trafen und gefragt wurden, wo wir den herkommen. Mit der Antwort „Eigentlich sind wir jetzt von Indien heimgefahren“ hat keiner sorecht gerechnet.
Die letzt Nacht in Italien schliefen wir in einem kleinen Unterstand kurz vorm Brenner-Pass. Wir badeten in einem kalten Gebirgsbach und kochten uns Fertigsuppe (wie schon öfters betont, wir konnten Reis und Gemüse einfach nicht mehr ertragen, und die Fertiggerichte waren eine willkommene und schnell zubereitete Abwechslung). Als wir am Folgetag am Brenner ankamen, kam uns der Anstieg kaum der Rede wert vor, nach all den Strapazen im tadschikischen Gebirge. Aber es war ein besonderer Moment, auf den wir ein Jahr lang zugefahren sind, auch wenn etliche Umwege mit dabei waren. Ein kleiner Grenzstein markierte die Grenze zwischen Italien und Österreich, und schon fetzten wir die Abfahrt Richtung Innsbruck hinunter. Dort angekommen mussten wir eine Entscheidung treffen. Dominiks Mutter würde in 2 Tagen in den Urlaub fahren und erst in 14 Tagen wieder kommen, dies haben wir zuvor nicht gewusst. Eigentlich wollten wir unsere Familien mit der früheren Ankunft überraschen, doch der Gedanke daran, dass wir Domis Mutter um einen Tag verpassen würden, ließ uns keine Ruhe. Also stiegen wir in Innsbruck in den Zug, um unsere Heimfahrt um einen Tag zu verkürzen. In Salzburg angekommen erwartete uns schon unsere langjährige Freundin Sonja mit einem Willkommensschild und wir mussten die ersten Tränchen verdrücken (okay, Berni musst ein paar Tränchen verdrücken 😀 ). Wir aßen einen Falaffelkebab beim Aganigi Naganigi im Stadtzentrum (so, wie wir es uns schon in Kasachstan ausgemalt hatten) und fuhren dann zu Sonja, wo wir die Nacht verbringen konnten. Am frühen Morgen ging es dann weiter nach Linz, entlang schöner Radwege und Seen. In Linz konnten wir bei Bernis Freundin Marlies schlafen, die ein tolles Abendessen für uns gekocht hatte. Wir sind also am Weg schon mehrmals „Heimgekommen“, und das war ein schönes Gefühl. Apropos Gefühle: Diese waren am Heimweg durchaus auch gemischt. Hatten wir nun ein Jahr im Zelt hinter uns, so war der Gedanke an ein Bett durchaus auch etwas ungewohnt. Oder wie würde es sein wieder voll im Alltag zu leben? Unsere Schweizer Fahrradfreundin Andrea hatte diesbezüglich einmal etwas kluges gesagt: Zuhause beginnt einfach ein neuer Teil der Reise.
Von Linz aus ging es dann direkt nach Wieselburg, zu Dominiks Mutter. Diese hatte schon Wind von unserer Rückkehr bekommen, der Zeitpunkt der Ankunft war aber noch unklar. So stand sie nichts ahnend im Garten und pflückte Tomaten, als wir unsere treuen Fahrräder vorm Haus parkten. Die Überraschung war groß, und wir freuten uns auf diesen Abend mit gutem Essen und vielen Geschichten von zuhause.
Am letzten Tag unserer Reise passierte etwas, das uns auf der gesamten Reise nicht passiert war: wir hatten uns im Abschnitt zwischen Wieselburg und Gresten komplett verfahren. Als wir durch Wieselburg fuhren glaubten wir zu wissen, einen kleinen Fahrradweg nach Randegg nehmen zu können. Als wir durch kleine Orte kamen, etliche Hügel rauf und wieder runter, meine Dominik: Seit wann gibt es hier einen Hofer? Naja, wir waren in Purgstall gelandet, wo wir doch eigentlich in Randegg noch Bernis Großeltern und Verwandte besuchen wollten. 😀 Wie uns das passieren konnte, ist uns bis heute ein Rätsel.
So fuhren wir das letzte Stück über Feichsen und Reinsberg nach Gresten. Und dann waren wir plötzlich da, schneller als erwartet. Unsere Freunde Tobi und Leonie kamen uns schon mit den Fahrrädern entgegen, was für eine Freude die beiden wieder zu sehen! Gemeinsam fuhren wir die letzten Meter nachhause, wo schon unsere Familie auf uns wartete. Einen kleinen Gag mussten wir uns aber auch noch leisten. Da in Bernis Familie schon gemunkelt wurde, ob nicht eine etwaige Schwangerschaft der Grund der verfrühten Heimreise sein könnte, stopfte sich Berni den Bauch unter der Jacke aus, ein verspäteter Aprilscherz eben. Die Augen von Mutter Veronika wurden recht groß als wir von den Fahrrädern abstiegen, sie sagte aber kein Wort. Erst als die anderen den Scherz erkannten, gab es ein erleichtertes Aufatmen 😀
So endete also unser Abenteuer. Heute denken wir oft zurück an den Anfang, als wir uns fragten, wie wohl alles werden würde. Werden wir immer gute Schlafplätze finden? Werden wir immer genug zu essen haben? Oft denken wir an die Szene der ersten Tage in Indien zurück, als Dominik gleich zu Beginn von einem schlimmen Magen-Darm-Infekt heimgesucht wurde und uns eine alte Indische Oma warmherzig umarmte, mit dem Gefühl, dass alles gut werden würde. Bei all den Schrecklichkeiten die auf der Welt so passieren mögen wurde uns doch das Gefühl vermittelt, dass überall Mütter, Väter, Großeltern wohnen, die sich um ihre Kinder sorgen und kümmern, und so auch in weiterer Folge um uns. Man muss bestimmt auf so einem Trip einiges in Kauf nehmen, man bekommt aber auch unendlich viel zurück.
Worauf wir uns auf der Reise definitiv am meisten gefreut hatte war das gute Essen zuhause, die große Auswahl an allem was man so in den Supermarktregalen findet und Leitungswasser, dass man auch tatsächlich trinken kann. Wir sahen die Häuser zuhause und die Infrastruktur nun auch etwas mit anderen Augen. Könnte ein Bergdorfbewohner aus Tadschikistan unsere Häuser hier sehen müsste er denken, wir sind alle steinreich. Dieser Lebensstandard den wir hier haben ist keine Selbstverständlichkeit, und das wird einem auf so einer Reise unmittelbar bewusst. Die meist übermäßigen Regelungen in unserem System werden oft als nervig empfunden, wobei wir diese sehr zu schätzen gelernt haben. Dies beginnt bei „A“ wie „Abgaswerte einhalten müssen“, und endet bei „Z“ wie „Zukunftsperspektiven durch Bildung erhalten“.
Wir bedanken und bei allen, die uns auf unserer Reise unterstützt haben, und auch bei jenen, die unseren Blog so aufmerksam verfolgt haben. Wir hoffen, wir konnten ein authentisches Bild solch einer Reise vermitteln, und wer weiß, vielleicht gibt es irgendwann eine Fortsetzung … 🙂
Liebe Berni! Lieber Domi!
Ich hoffe, Ihr habt Euch mittlerweile wieder einigermaßen eingelebt und könnt von Euren Reiseerfahrungen zehren! Danke für Eure tolle Berichterstattung, die mein Fernweh das ganze letzte Jahr angestachelt hat! Sollte es Euch mental bereits wieder in die Ferne ziehen, ich war im September 3 1/2 Wochen in Kenia (zwar nicht mit dem Rad, aber drei Tage motorradfahren waren dabei) und auf http://www.trift.org könnt Ihr meine dortigen Erlebnisse nachlesen. Und ein Filmtipp für Weltenradler: „Anderswo – Allein in Afrika“ über einen jungen Deutschen der Afrika alleine am Rad von Kapstadt bis Kairo durchquert.
Seid gegrüßt, genießt den heimischen Winter und ich hoffe auf ein Wiedersehen mit vielen tollen Geschichten im Frühjahr im Tale.
Liebe Grüße
Wolli
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